Zenon

Der frühzeitig aus dem Polizeidienst ausgeschiedene Zenon galt als unbeschreiblich unrittiges, steifes, festes, triebiges Pferd, als eines, das in keiner Weise (mehr) in der Lage war, seiner Pflicht nachzukommen. Er war Headshaker. Er war fertig. Im Grunde wurde von den meisten Menschen in seinem Umfeld kein gutes Haar an ihm gelassen.

Eine der Andersdenkenden war seine Hauptreiterin bei der Reiterstaffel, Tanja. Sie liebte Zenon. Für sie war klar, dass sie ihn zu sich nach Hause holen würde, wenn er abgegeben werden soll. Und so zog Zenon nach vielen, extrem schweren Jahren für ein Pferd seiner charakterlichen Stellung den Jackpot und bei Tanja und ihrem älteren Pferd ein. Da war er 12 Jahre Polizist und 15 Jahre alt.

Sie wusste, Zenon und sie brauchen dringend Hilfe. Und so sprach sie mich eines Tages auf der Messe Pferd&Jagd an und erzählte ihre Geschichte. Seriös konnte ich sie nur beraten, wenn ich Zenon zumindest einmal gefühlt hatte, und das wollte ich mit dem geringsten mentalen Aufwand für das Pferd hinbekommen. Also verabredeten Tanja und ich uns bei Zenon und ihr zuhause.

Dort stand er nun, der sehr besondere Polizist a. D. – mittlerweile 16-jährig –, wurde von Tanja vorbereitet und reiterlich vorgestellt, ihr älteres Pferd lief dazwischen rum, allein das fand ich schon klasse.

Schließlich war ich an der Reihe. Einige Leute guckten zu. Ich kannte niemanden von ihnen, ja auch Tanja nur sehr oberflächlich. Ich kletterte auf den wartenden Zenon. Unmittelbar traf mich eine enorme und bis dato nie dagewesene Welle aus tiefer Trauer und Verzweiflung, die mir sofort die Tränen in die Augen trieb. Vor den fremden Menschen wollte ich mich nicht in den ersten Minuten unseres Zusammentreffens als komische Frau outen und kämpfte die Tränen hinter die Augäpfel. Zenon riss mich voll in seine Gefühlwelt und so standen wir lange da, ich fühlte mich tief in ihn hinein und begann meine Botschaften an ihn, ganz vorsichtig, bittend, in aller Zurückhaltung, aber anhaltend. Irgendwann fasste er Mut, vielleicht ein winziges bisschen Vertrauen, aber vermutlich war es eher eine Art Resthoffnung.

Wir gingen los. Im Schritt blieb er verbunden, was mich unfassbar glücklich machte. Wir konnten irgendwann sogar ein bisschen traben, da guckte ich in die Zuschauer. Tanja weinte. Sie sagte später, sie hätte mir Zenon am liebsten direkt mitgegeben, sie habe ihn in all den Jahren nie so gehen sehen.

Nach Beendigung der Berittzeit teilte sie mir mit, es sei ihr egal, was und wieviel ich gemacht hätte, ich sei die einzige gewesen, die ihr hat helfen können. Das war ein riesen Kompliment für mich, denn ich mache ja tatsächlich immer andere Dinge mit verschiedenen Pferden, auch die Intensität variiert sehr. Und so dauern manchmal die Interventionen bei mir recht lange, sie sind aber nachhaltig, wenn der Prozess nicht vorzeitig unterbrochen wird. Ich habe nicht irgendeine Wirtschaftlichkeit im Kopf, sondern das Pferd mit seinen individuellen Bedürfnissen.

Die reiterlich erfahrene Vielseitigkeitsreiterin hat mir die Zeit gelassen, die es brauchte, Zenon auf einen anderen Weg zu begleiten. Den weiteren Verlauf konnte sie selbst übernehmen.

 

Zenon gehört zu diesen Pferden, die ich tief im Herzen trage. Selten hat mich ein Pferd so umgehauen wie dieser unfassbar besondere, unwahrscheinlich liebe Kerl. Danke, Tanja, dass ich ihn kennenlernen durfte.

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Zenon 6 – Abschlusstraining, Andrea reitet